Akute Lähmungen der Arme und Beine (Tetraparese/-plegie) bei vorbestehender spinaler Enge des Wirbelkanals nach vermeintlich harmlosen Stolperstürzen werden auch Schneidersche Lähmung genannt und können dramatische Folgen habe. Dazu der folgende Fall:
Die 62-jährige Patientin wurde eigentlich zur Operation einer Fraktur des fünften Mittelfußknochens vom Hausarzt eingewiesen. In letzter Zeit war sie öfter gestolpert und hatte sich dabei verletzt. Die zunehmenden Gleichgewichtsstörungen, ja ein fast „torkelnder“ Gang und vermehrte Schwierigkeiten beim Schreiben durch Beeinträchtigungen der Feinmotorik ihrer Finger kamen langsam und schleichend, so dass Frau R. diese Zeichen zunächst nicht als Problem wahrgenommen und vielleicht auch etwas verdrängt hat. Frau R. ist in ihrem Beruf sehr engagiert und geht nicht gerne zum Arzt.
Schlussendlich doch im Krankenhaus beim Toilettengang in der Nacht vor der OP passiert es. Wieder ein Sturz in dem dunklen Zimmer. Sie stößt sie sich den Kopf schwer an der Bettkante und liegt auf dem Boden. Die Halswirbelsäule wird bei dem Aufprall mit voller Wucht nach hinten gerissen. Jetzt geht nichts mehr. Frau R. bleibt hilflos am Boden liegen und kann ihre Arme und Beine nicht mehr bewegen. Ein Schock für die Patientin, die aufgewachte Bettnachbarin und das zu Hilfe gerufene Krankenhauspersonal.
Sofort werden recht schnell alle notwendigen diagnostischen Notfallmaßnahmen eingeleitet: Atmung und Kreislauf sind stabil. Nun geht es direkt in den Computertomographen (CT), um eine Schädelfraktur oder intrakranielle Blutung auszuschließen. Es zeigt sich jedoch, dass der Wirbelkanal auf Höhe der Bandscheiben C4-6 auffällig eng ist (Abb. 1 roter Pfeil). Aufgrund dieser Tatsache und den dramatischen Symptomen einer armbetonten Kraftminderung aller vier Extremitäten sind Anlass für weitere Untersuchungen. Mit Hilfe der Magnetresonanztomographie (MRT) kann die eigentliche Ursache der Lähmung sichtbar gemacht werden. Es handelt sich um eine Prellung des Rückenmarks (Contusion spinalis) auf Höhe eben jener spinalen Enge mit sichtbarem Ödem als Zeichen einer Schädigung der Nervenbahnen. Es handelt sich um das sogenannte Central Cord Syndrome.
Die wirbelsäulenchirurgische Behandlung beinhaltet immer die Beseitigung der Engstelle (Dekompression). Dies ist nicht nur eine wichtige Voraussetzung zur bestmöglichen Erholung des Rückenmarks vom primären Unfallschaden, sondern auch eine effektive Maßnahme zur Vermeidung von Folgeschäden durch anhaltende Kompression des Nervengewebes (Durchblutungsstörung, Ödembildung, Entzündung).
Prinzipiell kommen unterschiedliche Operationsverfahren (von vorne oder hinten) in Betracht. Die Wahl der richtigen OP-Technik und des Operationszeitpunkts sind abhängig von Schweregrad und Ausprägung der Lähmungserscheinungen und anderen individuellen Faktoren (Lokalisation, Ursachen der Engstelle), die mit dem Patienten besprochen werden. In manchen Fällen wird sofort, d.h. bei sehr ausgeprägtem Befund oder aber bei milden, bereits nach Stunden rückläufigen Ausfallssymptomen auch im Intervall operiert.
Der Durchmesser des Wirbelkanals wird erweitert und das geschädigte Rückenmark entlastet (Abb. 2). Bei Frau R. werden drei Wirbelbögen über einen hinteren Zugang zur HWS auf Höhe der Engstelle türflügelartig eröffnet (Laminoplastie) und danach mit kleinen Titan-Plättchen wieder fixiert (Abb. 3). Eine Entfernung der Bandscheiben oder Versteifung der Wirbelgelenke kann so vermieden werden und die Beweglichkeit der HWS bleibt erhalten.
Nach dem Eingriff bilden sich die Arm- und Beinschwäche langsam zurück, so dass Frau R. nach einem Reha-Aufenthalt wieder selbstständig stehen und gehen kann.